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Der „Hofmaler von Österreich, Italien und Siam”
Er nannte sich „Hofmaler von Österreich, Italien und Siam”, auch „lachender Philosoph”. Er war Pazifist, predigte eine gesunde Lebensweise und zeichnete unermüdlich. Der Österreicher Josef Karl Rädler (1844-1917) war ein Nachdenklicher und ein Schwieriger. Er lebte ab seinem 50. Lebensjahr bis zu seinem Tod in „Irrenanstalten”, wie sie damals hießen. Fünfzig Jahre nach seinem Tod wurden über 1000 Zeichnungen Rädlers vor dem Müll gerettet. Ihre Ausstellungsgeschichte begann noch später. „Ich war fasziniert”, schreibt Prof. DDr. Leo Navratil (1921-2006) in seinem Katalogbuch „Josef Karl Rädler und: Die Kunst der Epileptiker” (Niederösterreichisches Landesmuseum Wien, 1994), als ihm 1972 eine Krankenschwester Zeichnungen von Rädler anbot. Doch erst zwanzig Jahre später hatte Navratil Zeit sich mit dem Werk von Rädler zu befassen. Als Autor zur Art brut und Entdecker der Künstler von Gugging, hatte sich Navratil inzwischen einen Namen gemacht. Anhand der inzwischen verschollenen Krankenakte verfasste Navratil zu einer Rädler-Ausstellung in Wien 1994 das erwähnte, maßgebliche Buch, bisher wichtigste Quelle zu Rädlers zeichnerischem Werk.
Welterfolge mit Porzellan
Josef Karl Rädler wurde 1844 im böhmischen Falkenau geboren. Heute heißt der Ort Sokolov und liegt in Tschechien. Rädler zog mit 23 Jahren nach Wien und wurde Porzellanmalermeister. Er gründete als Carl Rädler mit seinem Kompagnon Robert Pilz 1872 das „Artistische Atelier für Porzellanmalerei Rädler & Pilz”, eines der bedeutendsten Unternehmen auf diesem Gebiet, das weltweit aktiv war.
Weggesperrt ins Irrenhaus
Rädler war verheiratet. Von acht Kindern starben vier im frühen Kindesalter. Sein Sohn Karl Robert (1881-1940) studierte Kunst, wurde Fachlehrer und Maler. Die dramatische Wende im Leben Rädlers trat 1893 ein. Auf Betreiben seiner Familie wurde Rädler in die private Irrenanstalt Lainz/Wien eingewiesen, kurz darauf in das Wiener Irrenhaus „Pilgerhain”. 1905 kam Rädler in die „Kaiser Franz Josef Landes- Heil– und Pflegeanstalt” nach Mauer-Öhling, einem Ort in Niederösterreich zwischen Wien und Linz gelegen. Dort war er bis zu seinem Tod 1917 hospitalisiert. Die Einweisung Rädlers in „Irrenanstalten” geschah wohl auf Druck der Familie. Sie warf ihm heftige Erregungszustände, Stimmungsschwankungen von Größenwahn bis zum Kleinmut, geschäftsschädigendes und unberechenbares Verhalten, Prozessierwut und anderes mehr vor. Rädler konnte diese Vorwürfe entkräften. Der Gerichtskommission wird mitgeteilt, dass Rädler „keinerlei psychische Abnormitäten” aufweise. Trotzdem wird Rädler 1897 unter Kuratel gestellt. Die Ärzte im Wiener Irrenhaus bescheinigen eine „zirkuläre Psychose mit manischen Erregungszuständen”. Rädler wird von den Anstaltsärzten bis zuletzt als „mürrisch, läppisch, grob, überheblich und eigensinnig” beschrieben. Die Diagnose später in Mauer-Öhling lautet „sekundäre Demenz”, was dem heutigen Begriff eines schizophrenen Defekts entspricht. In seinem letzten Lebensjahr leidet Rädler vermutlich altersbedingt an epileptischen Anfällen. Auf der Diagnose Epilepsie baut Navratil seine These zu Rädlers malerischem und schriftstellerischem Werk nach 1893 auf - eine Theorie, die Epilepsie und Kreativität verbindet, nachzulesen in seinem Buch 1994, auch eine Ansicht, die heute wohl nicht mehr in dieser Art vertreten wird.
„Der Hofmaler”
Josef Karl Rädler begann um 1897 im Wiener Irrenhaus "Pilgerhain" aus eigenem Antrieb, ohne Zutun der Ärzte, auf Papier mit Aquarellfarben und Tempera, farbigen Tinten und Tuschen zu malen, zu zeichnen und zu schreiben. Nahezu alle Bilder sind auf beiden Seiten bearbeitet. Rädler hat sich der Papiere zu verschiedenen Zeiten angenommen: Die Vorder- und Rückseiten sind meist in unterschiedlichen Jahren ausgeführt und signiert. So kann die eine Seite 1904 in Wien begonnen und 1911 in Mauer-Öhling fertig gestellt sein. Die Formate reichen bis zu 30 x 40 cm. Rädler hielt sich laut Krankengeschichte für den „ersten Maler”. Er bezeichnete sich selbst als „Hofmaler von Österreich, Siam und Italien”. Verständlich daher, dass er für seine Zeichnungen Phantasiepreise verlangte, sie dann aber „als Redlicher” billigst verkaufte. Aus 500, 1000 oder 3000 Kronen, die er zuerst veranschlagte, wurde beim Verkauf eine Krone oder etwas mehr, „je nach Jahreseinkommen”, wie er anmerkt (NB: 1000 Kronen entsprechen heute etwa € 5.000,-).
Philosoph und Pazifist: Rädlers Texte
„Alle seine Bilder schmückt er in seiner Tendenz mit Lehrsprüchen”, heißt es in der Krankengeschichte Rädlers. Rädler ist nicht nur „Hofmaler”, er bezeichnet sich zudem als „Poet”, als „lachender Philosoph”, „Mitreformator” und „Menschheitsapostel”. Seine Erbauungsreden, mit denen er seiner Umwelt einerseits lästig fällt, anderseits Beifall findet, hält er, oft gereimt, auch als Textbotschaften auf seinen Zeichnungen fest. Diese reden von Moral, predigen Frieden, fordern gleiche Rechte für die Frauen und zeigen einen kritischen, engagierten, mitfühlenden Menschen, der jedoch manchmal auch grob und aggressiv werden kann.
Für ein Malerauge herrlich
Zwölf Jahre, von 1905 bis 1917, verbrachte Rädler in der „Kaiser-Franz-Joseph Landes- Heil- u. Pflegeanstalt Mauer Öhling”, damals gerade fertig gestellt. Projektmanager der Baus war Carlo von Boog (1854-1905). Architekt von Boog orientierte sich an neuester Bautechnik (Eisenbeton) und, zusammen mit der medizinische Leitung der Anstalt, an neuen und fast revolutionären medizinischen Behandlungs- und Betreuungsmethoden im psychiatrischen Bereich. Die im Jugendstil gebaute Anlage mit ihren 40 Objekten, darunter 19 Pavillons, galt damals als modernste und eine der besten Irrenanstalten und wurde von Fachleuten aus der ganzen Welt besucht. Nach der Eröffnung 1902 schrieb Kaiser Franz Joseph an seine Freundin Katharina Schratt: „...alles zum Besten der Narren. Es muss ein Hochgenuss sein, dort eingesperrt zu sein.”
Für die Kunst gerettet
Wie Rädler auf seinen Zeichnungen schrieb, wollte er seine Bilder der Friedensliga in Haag vermachen. Doch es kam anders. Noch ein Jahr vor seinem Tod urteilten die Ärzte über ihn: „Spricht, dichtet, schreibt und malt viel wertloses Zeug.” Als „wertloses Zeug” sollten die Bilder von Rädler auch um 1965 bei Renovierungsarbeiten in der Anstalt weggeworfen werden. Sie wurden durch Personen aus der Direktion, dem Pflegepersonal und von Handwerkern entdeckt und gerettet. Rädlers Werke wurden erstmals Mitte der 80er Jahre in einer kleinen Wanderausstellung an verschiedenen Orten in Niederösterreich präsentiert, veranstaltet durch den damaligen Leiter der Anstalt in Mauer, Primar Dr. Werner Boissl. Näheres dazu konnte bisher nicht eruiert werden. Das Niederösterreichische Landesmuseum in Wien zeigte 1994 eine Einzelausstellung, zu der Navratil sein Katalogbuch verfasste. Zwei weitere Ausstellungen in der Welcome Collection, London, 2009, und im Wien Museum, Wien, 2010, zum Thema „Kunst und Wahn in Wien um 1900” widmeten sich ausführlich dem Werk und dem geistesgeschichtlichen Umfeld Rädlers (Katalog). Auch das Museum of Everything, London, zeigte Rädler in Ausstellungen und Publikationen.
Der Unternehmer Carl Rädler
In seinen Zeichnungen nennt sich Rädler „Hofmaler von Österreich, Italien und Siam”. Das klingt für einen Irrenhausinsassen anmaßend, trifft jedoch für Rädlers frühere Biographie zu. Wie schon erwähnt, war Rädler vor seinen Aufenthalten in Irrenhäusern Inhaber zweier Firmen für Porzellanmalerei in Wien. Sein „Artistisches Atelier für Porzellanmalerei Rädler & Pilz” hatte Niederlassungen in Wien, London, Paris, Frankfurt und Lager in Melbourne, Sidney, New York, Philadelphia und Rio de Janeiro. Seine Firma für Porzellane und Innenausstattung nahm an Weltausstellungen in Wien (1873) und Paris (1878) teil und gewann zahlreiche Medaillen, Diplome und Staatspreise. Wie ein Prospekt seines Ateliers belegt, waren der Kaiser von Österreich und der König von Italien Kunden seiner Firma. Rädler & Pilz entwarfen auch Services für die Familie Rothschild. Der österreichische Erzherzog Rainer schenkte Rädler’sche Produkte dem South Kensington Museum, heute Victoria & Albert Museum, London.
Noch zu erforschen
Wie Rädlers Porzellanmalereien und Ausstattungsgegenstände aussahen, ist kaum bekannt. Das Museum für Angewandte Kunst in Wien besitzt einige Teller und ein Prospekt der Firma, Beleg des weltweiten Netzes seines Ateliers. Auf Auktionen und im Antiquitätenhandel tauchen Rädlers Produkte äußerst selten auf. Wenige sind bezeichnet, die meisten eher „zugeschrieben”. Einst weltweit vertreten, ist die Porzellanmalerei Rädler & Pilz heute seltsamerweise nahezu unbekannt, in der Fachliteratur eher in den Fußnoten zu finden. Nur wenige wissen von Rädlers Wohnhaus in Wien, dessen Fassade Medaillons aus Porzellan schmücken.
Unsere Forschungsergebnisse, Daten und Archivalien zu Josef Karl Rädler (1844-1917) erhielt die Kulturabteilung des Landes Niederösterreich. Dieses Bundesland besitzt die größte Sammlung zu Rädler und will sich mit dem "Hofmaler von Österreich, Italien und Siam" und "lachendem Philosophen" befassen.
Ferdinand Altnöder, Salzburg 2022
Josef Karl Rädler: The “Court Painter of Austria, Italy and Siam" - translation
Originaltexte aus den Bildern von Josef Karl Rädler
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Bild Nr. 54 Vorderseite: Ohne Titel (Kinder in einem Pavillon) | o.J. | 29,9 x 39,8 cm
Bild Nr. 54 Rückseite: Pfui. Aller Herrsch-Genuß | 1914
Bild Nr. 80 Vorderseite: Wer jung schon ausschweifend lebt | 1916 | 29,4 x 39,1 cm
Bild Nr. 80 Rückseite: Motto: Die Gesundheit ist, was bleibt | 1916, 1917
Bild Nr. 130 Vorderseite: Ob ein Jünglein Adonis du bist | 1914 | 40 x 30 cm
Bild Nr. 130 Rückseite: Wünsche bei Sternenpracht | 1912
Bild Nr. 133 Vorderseite: Friede wollen die Centralmächte machen | 1916 | 30 x 40 cm
Bild Nr. 133 Rückseite: Unkultur Krieg Elend! | o.J.
Bild Nr. 142 Vorderseite: Die Klügsten Sie rauchen nicht | 1916 | 28,8 x 42,6 cm
Bild Nr. 142 Rückseite: Herrscher Europas! | 1916
Bild Nr. 167 Vorderseite: Eine Familie im Sommer | 1916 | 29,9 x 39,5 cm
Bild Nr. 167 Rückseite: Hunger thut weh! | 1916
Bild Nr. 176 Vorderseite: Huren und Taugenichte, Gab's schon viel... | 1912 | 39,3 x 29 cm
Bild Nr. 176 Rückseite: Denkerinnen! Denker! | 1904
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Galerie Altnöder, Salzburg, Kontakt |